Vor dem Käse kommt die Milch
Während jeder Weinkenner weiß, dass Rebsorte, Bodenbeschaffenheit und Mikroklima entscheidend für die Qualität des Weins sind, fehlen entsprechende Kenntnisse der Käseliebhaber über die Bedeutungdes Rohstoffs Milch fast vollständig. Der nachfolgende Text stammt aus einem “Lehrbuch der praktischen Käserei” von 1950, als viele der heutigen Käsereipraktiken noch unbekannt waren und es wirklich noch auf die Qualität der Milch ankam. Dieser Text macht deutlich, warum heute manche Käse aus Hofkäsereien so unvergleichlich sind, wo der Käser noch unmittelbare Kontrolle über die Milch hat.
Die Käsereimilch
Um gute, marktfähige Käse herzustellen, darf nur Milch zur Verkäsung gelangen, welche gesund, mit einem Wort “käsereitauglich” ist. Milch von Kühen, welche an Verdauungskrankheiten, Euterkrankheiten oder sonstigen Störungen des Allgemeinbefindens leiden, ist für die Käserei minderwertig oder vollkommen untauglich. Besonders gefährlich, weil heftige Blähungen hervorrufend, ist die Kolostral- oder Biestmilch. Diese gerinnt mangelhaft oder gar nicht mit Lab, macht den Bruch klebrig und verhindert den Austritt der Molken, so dass Blähungen die Folge sind. Auch bei akuten Euterentzündungen und sonstigen Störungen in den Funktionen des Euters wird eine stark käsereiuntaugliche Milch ermolken (wesentlich abweichender Säuregrad!). Diese Milch enthält meist abgestorbene Gewebsteile, Blutwasser und ist auch in ihrer Zusammensetzung mehr oder weniger stark verändert. Milch von altmelken Kühen hat meist einen räss-salzigen Geschmack, niedrigen Säuregrad und eine veränderte Zusammensetzung. Diese Milch ist von der Verarbeitung zu Käse ebenfalls auszuschließen. Das Labgerinnungsvermögen ist stark herabgesetzt. Für mindestens fünf Tage von der Käserei ausgeschlossen ist Milch von Kühen, die mit Penecillin behandelt wurden.
Die Fütterung hat insofern einen Einfluss auf die Käsereitauglichkeit der Milch, als einzelne Futtermittel entweder bei den Tieren Verdauungsstörungen und dadurch gröbere Verunreinigungen der Tiere selbst, des Stalles und damit auch der Milch zur Folge haben oder weil mit den Futtermitteln eine direkte Anreicherung der Stallluft mit käsereischädlichen Keimen hervorgerufen wird, welche beim Melken in die Milch gelangen und Fehler hervorrufen. Fehlt im Futter der Kalk oder werden Futtermittel (Rübenblätter), welche im Tierkörper Kalk verbrauchen, verfüttert, so beobachtet man häufig, dass die Milch kalkarm ist und mit Lab mangelhaft gerinnt. Diese Milch bezeichnet man als labträge. Man kann die Labfähigkeit durch Zusatz von Kalksalzen (Chlorkalzium) zur Milch wieder herstellen, doch ist es besser, den Tieren Kalk zuzufüttern oder die Futterflächen ausreichend mit Kalk zu düngen. Auch bei altmelken Kühen kann man infolge Veränderungen in der Zusammensetzung der Milchsalze den Fehler “labträg” oft feststellen.
Milch aus Ställen, in denen es an der notwendigen Ordnung und Reinlichkeit fehlt, wo man auf dasMelken (Ausmelken) nicht die erforderliche Sorgfalt verwendet, ist oft die Ursache von Betriebsstörungen. Bleibt Milch infolge schlechten Ausmelkens im Euter zurück, verdirbt sie und man beobachtet bei nachfolgenden Melken Gerinnsel, “Schlatzen” oder sonstigen Bodensatz (schleimig, griesig usw.).
Durch unsachgemäße Behandlung der frisch ermolkenen Milch wird diese ebenfalls mehr oder weniger käsereiuntauglich. Niemals soll die Milch während des Melkens oder nach dem Melken längere Zeit in schleht gelüfteten, warmen Stälen belassen werden. Wird kuhwarme Milch während und nach dem Melken dicht zugedeckt stehen gelassen, so dass sie nicht auslüften kann, so nimmt sie ebenfalls eine anormale Beschaffenheit an, sie erstickt.
“Erstickte Milch” bewirkt zufolge ihrer fehlerhaften Gäranlage “nisslige” Käse. Kann die Milch nicht sofort nach dem Melken in den Verarbeitungsbetrieb geliefert werden, so muss durch rasches Abkühlen (am besten eignen sich Berieselungskühler) und Aufstellen bei möglichst niedrigen Wärmegraden dem Verderben vorgebeugt werden.
Wird bei täglich einmaliger Milchablieferung Abendmilch und Morgenmilch zugleich angeliefert, so sollen die beiden Mahlzeiten getrennt sein. Lässt es sich nicht vermeiden, bei kleineren Milchmengen Abend- und Morgenmilch gemischt anzuliefern, so darf die Vereinigung erst vor der Anlieferung erfolgen. Soll die Mischmilch noch einen verhältnismäßig weiteren Transport bestehen, dann muss unter allen Umständen die Morgenmilch vor dem Zusammenschütten ebenfalls gekühlt werden. Niemals darf schon während des Melkens die kuhwarme Morgenmilch zur abgekühlten 12stündigen Abendmilch gegossen werden. Die das Bakterienwachstum hemmende Eigenschaft der Milch ist bei der 12stündigen Abendmilch, je nach der Aufstelltemperatur, zum großen Teil oder ganz aufgehoben. Ein Gemisch von 12stündiger und frischer Milch ist somit der Entwicklung der Keime günstig, die Milch säuert rascher, und bei größerem Beförderungsweg kann die Milch ersticken. Bei großem Milcheinzugsgebiet empfiehlt es sich, Milchsammelstellen zu errichten, welche mit Kühlanlagen ausgestattet sind, so dass die Anlieferung von Morgen- und Abendmilch gefordert werden kann. Die Milch wird hierbei sofort nach der Anlierung einer sachgemäßen Behandlung unterworfen. Diese ist beim einzelnen Lieferanten nicht gewährleistet. Außerdem lässt sich die Anlieferung besser überwachen und wird damit die Betriebssicherheit der Käserei größer. Die Beförderung zur Verarbeitungsstätte kann dann in kürzerer Zeit und auch unter Benutzung von Milchtanks erfolgen.
In den eigentlichen Käsereigebieten bestehen seit Jahrzehnten sogenannte Milchanlieferungsordnungen, welche Regeln für die Milchgewinnung, Behandlung, Fütterung, Düngung usw. enthalten. Besonders streng wird die Milchanlieferungsordnung im Gebiet der Emmentalerkäserei gehandhabt.
Text: Wolfgang Lipp