Nun ist Slowfood in Deutschland 20 Jahre alt geworden
Zur Geschichte von Slow Food Hamburg
Die Gründung der Hamburger Slow Food Gruppe ereignete sich Ende 1995 in der Hauptverwaltung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, neben der Holsten-Brauerei. Sie verband sich mit einer Probe von Weinen aus dem Oltrepo-Pavese, die wir, meine Frau Anne und ich, aus dem letzten Italien-Urlaub mitgebracht hatten. Tatsächlich war das schon der zweite Anlauf, um Slow Food in Hamburg zu organisieren. Von dem ersten hatten wir nichts mitbekommen und die damaligen Akteure haben sich weit überwiegend nicht bemüßigt gesehen, mit der neuen Gruppe Kontakt aufzunehmen. Vielleicht war ihnen das Gewerkschaftshaus zu proletarisch.
Slow Food kannten wir von unseren zahlreichen Italien-Besuchen, vor allem als ‚Slow Food Editore’ des wunderbaren Restaurantführers ‚Osterie d’Italia’ und von dem nicht minder eindrucksvollen Weinführer ‚Vini d’Italia’. Nun stand in der hiesigen Presse, dass es Slow Food auch in Deutschland gebe und dass man viel Krach miteinander habe. Schließlich tagte 1996 die Mitgliederversammlung in Ulm, wo ein neuer Vorstand gewählt wurde, der nun das Heft in die Hand nahm, während die Anführer der ersten Stunde sich aus der Arbeit zurückzogen.
Die Arbeit in Hamburg kam langsam in Gang. Das Vorbild war Lothar Tubbesing, Wirt im ‚Lachswehr’ und Leiter des schon länger bestehenden Lübecker Conviviums. Wir haben ihn sehr bewundert und erkannten erst später, dass er mit seinen Konzepten oft sehr viel schneller war, als er sie dann realisieren konnte. Das sollte sich bei der Entwicklung des Käsemarktes am Kiekeberg zeigen. Der verdankt seine Gründung dem Anstoß, der von der ersten Europäischen Käsemesse in Bra (Piemont) ausging, die Slow Food International 1997 ausrichtete. Die Messemacher traten mit dem Anspruch auf, einen Überblick über die Käseproduktion in Europa zu geben. In ihrem Katalog führten sie 126 DOP-Käse auf, davon ganze vier aus Deutschland und nicht einen aus Norddeutschland.
Wir kannten uns inzwischen ganz gut aus in der norddeutschen Käseszene und wussten daher, dass der aus Bra vermittelte Eindruck, hier befinde sich eine öde Käsesteppe, einfach falsch war. Also beschlossen wir gemeinsam mit Lothar Tubbesing und den Lübeckern, wir organisieren eine eigene Käsemesse unter der stolzen Bezeichnung ‚Käse aus dem Norden’. Wir zeigen es den Italienern!
Die Sache erwies sich als schwieriger als gedacht. Zunächst stand die Frage: ‚Think big’ oder lieber kleine Brötchen backen? Lothar Tubbesing favorisierte eine Veranstaltung nach dem Vorbild der damals im Curio-Haus organisierten Weinmessen. Eine überschlägige Rechung ergab, dass damit Kosten in Höhe von 60.000 bis 80.000 DM ausgelöst worden wären, wobei sehr unsicher war, ob diese Beträge wieder eingespielt werden könnten. Wir Hamburger favorisierten das Angebot des Freilichtmuseums am Kiekeberg, das uns als Rahmen der Veranstaltung mit guter Infrastruktur kostenlos zur Verfügung stand. Hier trennten sich die Wege von Hamburg und Lübeck, nachdem wir den Lübeckern erklärt hatten: „Wie machen die Käsemesse diesmal am Kiekeberg und ihr könnt sie ja nächstes Jahr im Curio-Haus veranstalten.“
Nach dieser Grundsatzentscheidung ging die Jagd auf die Aussteller, die Marktbezieher los. Zwar kannten wir viele Käsehersteller, aber die waren nur schwer oder gar nicht zu bewegen, sich an solch einer Veranstaltung zu beteiligen. Die meisten hatten eine feste Kundschaft und oft gar nicht so viel Ware, um sie bei einer Großveranstaltung zusätzlich zu verkaufen. Bei einer zweitägigen Messe, wie wir sie geplant hatten, würde ein Grossteil des Erlöses allein für das Hotel draufgehen, und außerdem mussten die Tiere gefüttert und gemolken werden und man sei ja froh, überhaupt mal ein freies Wochenende zu haben. Viele Stunden haben wir telefoniert, um nur ein einigermaßen vorzeigbares Käseangebot zusammen zu bekommen. Und es hätte nicht funktioniert, hätten wir nicht die Unterstützung von zwei wichtigen Leuten gehabt, von Eberhard Hasper, damals Inhaber der Bremer Bio-Käsegroßhändlung MOP und Detlef Möllgaard, damals Geschäftsführer der Vertriebsgesellschaft der Schleswig-Holsteinischen Molkereigenossenschaften ‚Gut von Holstein’, beide große Käseenthusiasten.
Trotzdem war die Beteiligung der Produzenten am ersten Käsemarkt nicht überwältigend und wir behalfen uns, um wenigstens von 50 Herstellern sprechen zu können, mit einem von Slow Food organisierten Gemeinschaftsstand, zu dem nicht anwesende Produzenten zumindest ihre Produkte beisteuern konnten.
Das Wetter war stürmisch, kalt und regnerisch und trotzdem kamen über 5.000 Besucher. Der Stress war für die Organisatoren aber so groß, dass wir uns schworen: Nie wieder! Nach dem Käsemarkt gab es dann eine Phase von drei Wochen, in denen wir nachdachten, was denn statt des Käsemarktes als kulinarische Großveranstaltung zu machen sei. Das Nachdenken endete damit, dass wir feststellten, dass jede andere Aktion mehr Stress machen würde, und so gingen wir an die Arbeit, um 1998 den 2. Käsemarkt am Kiekeberg zu organisieren.
Am Ende des ersten Käsemarktes gab es ein Gespräch zwischen Detlef Möllgaard und mir, wie denn das Marketing für den norddeutschen Käse verbessert werden könnte. Wir waren uns einige, dass die Winzer das große Vorbild seien durch die geniale Verbindung von Person, Land und Produkt und die Verbindung der Betriebe durch eine Weinstraße. Und genau diese Verbindung müsste bei den Käsern auch funktionieren. So entstand die Idee der Käsestraße Schleswig-Holstein. Die Realisierung erwies sich jedoch als genauso schwierig wie beim Käsemarkt selbst. Wir brauchten nicht viel Geld, aber doch ein bisschen, um Plakate zu drucken und einen Flyer. Das zuständige Ministerium winkte ab. Das sollten doch die interessierten Betriebe selbst tragen. Solange es aber keine Organisation gab und keinen erkennbaren Nutzen für die Produzenten, hielten auch diese die Taschen zu. Hinzu kam das Problem der Verschiedenheit der Produzenten. Die traditionellen Meiereigenossenschaften waren eine Welt, die Hofkäsereien eine andere. Und die Hofkäsereien teilten sich wieder in die Bio- und die konventionellen Betriebe und die Bio-Betriebe wieder in die Produzenten von Rohmilchkäse und Käse aus pasteurisierter Milch. In der jeweiligen Gruppe kannten sich die Produzenten, waren teilweise in Verbänden organisiert, über die Grenzen hinweg gab es aber kaum Berührungspunkte, ja manchmal geradezu Feindschaft. Und alle diese sollten nun in eine Organisation, den Verein Käsestraße Schleswig-Holstein gepresst werden. Das dies geklappt hat verdankt sich dem Käsemarkt am Kiekeberg, wo sich nun jährlich die verschiedenen Produzenten trafen und es ist der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein zu danken, die früh den Marketing-Nutzen einer solchen Käsestraße erkannte und bei der Organisation und Finanzierung half. Schon die erste Presseerklärung über die Gründung der Käsestraße bestätigte die Richtigkeit dieser Einschätzung, denn sie löste bundesweit ein Echo aus, wie es die Landwirtschaftskammer noch nie zuvor erlebt hatte.
Der Standort Kiekeberg war für die nur ehrenamtlich arbeitende Organisation Slow Food Hamburg von erheblichem Vorteil. Man brauchte sich insbesondere um die finanziellen Fragen nicht zu kümmern. Ganz anders als bei den damals stattfindenden Slow Food Festivals, die mit Defiziten endeten, die die Organisation an den Rand des Ruins brachten. Aber der Standort hat auch wesentliche Nachteile, die vor allem die Öffentlichkeitsarbeit betreffen, da das Museum zwar an der Stadtgrenze aber doch in Niedersachsen liegt und da die Hamburger Medien konsequent alles ignorieren, was jenseits der Stadtgrenzen passiert. Es gibt jedoch Gegenbeispiele. Da war zunächst die Mozzarella aus Norderstedt. Rechtzeitig vor dem Käsemarkt organisierten wir eine öffentliche Mozzarella-Probe, in der wir Mozzarella italienischer Produktion von Kuhmilch und von Büffelmilch konfrontierten mit deutscher Mozzarella von Karstadt, SPAR und ALDI und mit Mozzarella aus der handwerklichen Produktion eines Italieners in Norderstedt. Das pressewirksame Ergebnis: Die Mozzarella aus Norderstedt war eindeutig die Beste, was den Kenner nicht erstaunte, da sie erst wenige Stunden zuvor produziert worden war. Von den übrigen Produkten war die deutsche Mozzarella von ALDI die beste, weil sie aufgrund der schnellen Logistik die zweitfrischeste war. Das teuerste Produkt, die italienische Büffelmozzarella, schmeckte außen wir frischer Tilsiter und innen wie saurer Quark, sie war eben völlig überlagert und ungenießbar. Für die Medien war die Mozzarella aus Schleswig-Holstein der Hit. Über Tilsiter, auch achtzehnmonatigen, wollten sie nichts wissen, aber über Mozzarella. Als irgendwann die Mozzarella-Produktion in Holstein eingestellt wurde, erschien noch ein halbes Jahr später ein ganzseitiger Artikel in einer Tageszeitung.
Ähnlich ging es mit dem Holsteiner Lederkäse. Seine Rezeptur wurde in einem alten Käsebuch gefunden und auf Betreiben von Slow Food machten sich schließlich Produzenten daran, kleine Mengen probeweise herzustellen. Die Wiederentdeckung dieser Käsespezialität, die schon bei Theodor Storm eine Rolle spielt und wahrscheinlich die älteste bekannte Käsesorte in Schleswig-Holstein ist, löste einen Riesen Medienrummel aus. Beim folgenden Käsemarkt wollten alle Lederkäse probieren oder gar kaufen, aber es gab nur drei Kilo, und so fühlten wir uns wie bei der Speisung der Fünftausend, nur dass uns ein Jesus zur wundersamen Käsevermehrung fehlte.
Wenn man die Entwicklung der norddeutschen Kässzene rückwärts betrachtet, so kann man feststellen, dass hier eine dramatische Qualitätsverbesserung eingetreten ist. Die norddeutschen Käser brauchen keinen Vergleich zu scheuen, weder mit den bayerischen noch mit den französischen. Wer einmal die Straße des Camembert abgefahren ist, der weiß die Großartigkeit der Käsestraße Schleswig-Holstein zu schätzen. Es sind im Laufe der Jahre Käser-Persönlichkeiten herangewachsen, die sich um unsere Käsekultur verdient gemacht haben und die von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden sollten. Dazu dient der Norddeutsche Käsepreis, der jährlich gemeinsam von Slow Food Hamburg und vom Freilichtmuseum am Kiekeberg vergeben wird, und zwar jeweils einmal nach Niedersachsen und einmal nach Schleswig-Holstein. Und wir wissen es zu schätzen, dass der niedersächsische Landwirtschaftsminister Ehlen von Anbeginn an die Auszeichnung der Käser persönlich vorgenommen hat.?
Text: Burchard Bösche
Slow Food Deutschland e.V.: http://www.slowfood.de/
Slow Food Convivium Hamburg: https://www.slowfood-hamburg.de/